Ich erzählte meiner Bekannten diese kleinen Geschichten, bis unser Essen aufgetischt wurde: die Klopse in der Kapernsoße schmeckten gut, aber natürlich schmeckten mir in meiner Erinerung die selbst gemachten Klopse nach dem „Geheimrezept“ von Omas Schwester damals besser…
Und dann berichtete ich versonnen, wie sehr mir meine Oma teuer und lieb war und dass sie für mich stets als Respektsperson, lebenserfahrene Dame und Vorbild gedient hat. Sie betrieb nach dem allzu frühen Tod meines Opas allein einen Blumenladen in Braunlage. (Foto2) In jener Zeit der 50+60er Jahre waren Omas noch geschlechtsneutrale Wesen, bieder und praktisch gekleidet, verbunden mit dem Geruchsgemisch von frischem Apfelkuchen und Kernseife, allenfalls an Feiertagen mit einem Spritzer Eau de Cologne aufgepeppt. Dagegen steigen heutzutage die modernen Omas schwungvoll von ihrem Rennrad, schwitzen im Fitness-Studio „Only for Ladies“, lassen sich mit Hyaluron und Botox behandeln und vom Schönheitschirurgen generalüberholen. Lohn der Mühe: beim Ausflug mit den Enkelkindern gehen sie problemlos als deren Mama durch. Und doch: früher wie heute sind sie wichtig, die Großmütter, für die Enkelkinder, deren Erinnerungen, Gerüche und Erinnerungen an Kindheitstage.
Anmerkung: Meine Begleiterin ist selbst Dreifach-Oma. Wertfrei stellte sie im Vergleich fest: „Früher lebten Omas oft allein, weil ihre Männer im Krieg geblieben sind. Heute leben sie allein, weil sie sich von ihren Männern getrennt haben.“
Zurück zu unserem Restaurant. Wir studierten die Speisekarte mit den original ostpreußischen Gerichten - jedes mit einer kleinen Erläuterung versehen über Entstehung und Zubereitung. Die berühmten Königsberger Klopse, die leckere Sülze mit Mostrich und Bratkartoffeln, der gehaltvolle Schmandhering, die Flinsen … (Foto1) die Erinnerung an die Düfte und den Geschmack aus Kindertagen liessen mir bereits das Wasser im Mund zusammen laufen und riefen mir die kleinen Geschichten meiner Oma und ihrer Schwester ins Gedächtnis: von den Pferdegespannen, den hilfsbereiten Nachbarn aus der Straße, vom Malerbetrieb - eben von jenen Dingen, welche durch Krieg und Vertreibung schmerzlich zurückgelassen werden mussten. Die Familie hatte übrigens in Königsberg bis zuletzt ausgeharrt - und sich nach Besetzung durch die Russen im April 1945 bis zum Kriegsende sechs Wochen lang mit Hustensaft aus einer benachbarten verlassenen Apotheke „ernährt“. Der Zucker im Medikament rettete ihnen das Leben.